Auf dieser Seite veröffentliche ich jeweils nur eines meiner Gedichte*. Von Zeit zu Zeit werde ich es gegen ein anderes austauschen. Viel Freude damit!
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Antrag auf Entschädigung*
Fast wärst du verreckt
in jenem Lager
Du zähltest Leichen
schlepptest sie fort
weißt nicht mehr wohin
hungertest und wurdest gequält
Doch du bliebst am Leben
Du verlorst deine Eltern
Geschwister Großeltern
Tanten Onkel Cousinen Cousins
Freunde Nachbarn Bekannte
deine Gesundheit deinen Mut
deine Lebensfreude dein Vertrauen
deine Arbeit deine Wohnung
deine Familienfotos deine Kleidung
einfach alles
außer deinem Leben
Und du bliebst übrig
Zigeunerpack schrien sie
auch nach der Zeit im Lager
Selber Schuld sagten sie
und belebten alte Vorurteile
verjagten und ächteten dich
während du anfingst
dein Leben neu aufzubauen
eine Familie gründetest
und um Unauffälligkeit
bemüht warst
Du bliebst
wie Generationen zuvor
in diesem Land
Welcher Tätigkeit
gingen Sie im Lager nach
fragte man dich
mehr als sechzig Jahre später
in dem Antrag auf Entschädigung
Zweitausend Euro
wollte man zahlen
Ich zählte Leichen
und schleppte sie irgendwohin
schriebst du in das Formular
und dachtest daran
wie du geblieben bist
dass du überlebtest
neu angefangen hast
unauffällig warst
wie so viele andere auch
Die Antwort ist nicht ausreichend
schrieb man dir zurück
* Basierend auf den Berichten von Helmut Weiss (geb. 14.09.1937, gest. 14.10.2013). Erzählt von seinem Sohn, Heinz Weiss, im Frühjahr 2013. Helmut Weiss konnte weder lesen noch schreiben. Er verdiente sein Geld mit Gartenarbeiten, war aber oft auch auf Sozialhilfe angewiesen. Er ist, nach den Worten seines Sohnes, trotz all dem Leid, das er erlitten hatte, ein fröhlicher Mensch gewesen.
Heinz Weiss arbeitet in Hamburg als Bildungsberater in einem Projekt, in dem es darum geht, zwischen Schulen und Sinti-/Roma-Familien zu vermitteln.